"Das kannst du nicht tun." "Das schaffst du nicht." "Dafür bist du zu alt/zu jung." "Das ist verantwortungslos." "Du handelst egoistisch." "Das ist viel zu riskant."
Ich bin überzeugt: Jeder, der aufgebrochen ist - in einen anderen Job, eine neue Partnerschaft, einen unkonventionellen Lebensstil - kennt diese oder ähnliche Aussagen aus seinem engeren oder auch weiteren Umfeld. Und die meisten, die sich mit dem Gedanken an eine Veränderung tragen, fürchten sich davor.
Woher kommt die Motivation, Entscheidungen anderer Menschen zu beurteilen?
Klar, wer direkt von einer Veränderung betroffen ist, sollte seine Betroffenheit ausdrücken. Meistens werden wir aber mit Äußerungen und Widerständen von Menschen konfrontiert, deren Leben sich durch unseren Aufbruch nicht wesentlich verändert. Der Grund ist einfach:
Wenn wir uns anders verhalten, als es in unserem Umfeld üblich ist, als es Konvention ist, wird das von unseren Mitmenschen als Kritik aufgefasst.
Nehmen wir unsere Kinder aus der Schule und lassen sie frei lernen, kritisieren wir dadurch implizit das Schulsystem. Wechseln wir unsere Arbeitsstelle, bringen wir damit zum Ausdruck, dass wir durch unseren Job nicht mehr zufrieden waren. Indem wir unser eigenes Verhalten ändern, verändern wir auch unser direktes Umfeld - und das ist anstrengend für unsere Mitmenschen. Selbst wenn sie nicht direkt betroffen sind, löst der Bruch mit dem Bisherigen immer einen Denkprozess im Gehirn der anderen aus. Daraus entsteht im besten Fall eine Reflexion der eigenen Situation - im ungünstigsten Fall legen uns diese Menschen Steine in den Weg, durch Kritik oder handfeste Hindernisse. Die Partnerin, die uns nach unserer Trennung noch monatelang verletzende Nachrichten schickt und die gemeinsamen Kinder zu manipulieren versucht. Der Onkel, der den Kontakt abbricht, weil wir unser Elternhaus verkauft haben und mit dem Geld auf Reisen gehen. Solche Reaktionen können wir in der Regel nicht verhindern. Aber wir können unseren Umgang mit Hindernissen und Widerständen überdenken. Wir können Widerstände als Chance nutzen um zu verstehen und zu wachsen.
Es geht im Leben nicht darum, keine Probleme zu haben, sondern Lösungen dafür zu finden.
Ein erster Schritt besteht darin, Hindernissen nicht mit Widerwillen oder Groll zu begegnen. Warum auch immer sie auftreten, sie verschwinden nicht, indem wir uns über sie ärgern. Meistens verstehen wir erst rückblickend, weshalb wir nicht schnurstracks auf unser Ziel zumarschieren konnten, sondern Umwege benutzen mussten. Wie auch immer die konkrete Situation aussehen mag, letztlich geht es darum, dass wir unsere Kreativität nutzen und weiterentwickeln, um Hindernisse zu überwinden.
Das fällt uns viel leichter, wenn wir freiwillig aufgebrochen sind. Die aktuelle weltweite Entwicklung zwingt uns allen Veränderungen auf, zu denen wir uns nicht selbst entschieden haben. Sie betrifft uns alle und fordert uns in unserer Kreativität. Wir können diese unangenehme Situation für uns nutzen und uns im Überwinden von Hindernissen üben. Ob wir unseren Job verloren haben oder innerlich gegen die Einschränkungen kämpfen, ob uns die Angst vor Ansteckung oder vor Diktatur lähmt, das Homeoffice und Homeschooling überfodert oder ob uns die Dominanz des Themas im Alltag nervt - wir müssen einen ganz persönlichen Umgang mit diesen Hindernissen finden.
Das gelingt uns nur, indem wir uns mit uns selbst auseinandersetzen.
Indem wir unsere Ängste analysieren, verstehen und letztlich auflösen oder uns damit arrangieren. Indem wir herausfinden, was uns wirklich wichtig ist. Wo unsere Leidenschaften liegen. Was uns begeistert. Was uns belastet und uns Energie raubt, was wir künftig nicht mehr in unserem Leben mitschleppen wollen. Wenn wir uns in der aktuellen Situation nicht ausgeliefert, nicht hilflos fühlen möchten, führt kein Weg an der Auseinandersetzung mit uns selbst vorbei - damit wir uns selbstwirksam und selbstbestimmt erleben können. Auch oder gerade jetzt. Die Zeichen stehen auf Aufbruch!
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