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  • Corina Lendfers

"Leben ist das, was passiert, während du etwas anderes planst."



Diesen Spruch habe ich meiner Mutter vor 18 Jahren geschenkt, eingraviert in einen Stein, als sie zum ersten Mal Großmutter wurde, obwohl sie ganz andere Pläne für mein Leben hatte. In letzter Zeit habe ich mich wieder öfter daran erinnert.


Leben bedeutet Veränderung, das wissen wir alle. Was sich nicht mehr verändert, ist tot. Oftmals haben wir ja auch gar nichts gegen Veränderung – solange wir sie selbst veranlassen und das Ausmaß bestimmen können. Wie aber reagieren wir, wenn das Leben anders spielt als geplant? Freuen wir uns über die neue Herausforderung, reagieren wir verwirrt oder gar verärgert? Das kommt auf die Art der Veränderung an, könnte man antworten. Vielleicht. Wenn mir mein Chef eine Gehaltserhöhung vorschlägt, freue ich mich sicherlich. Wenn mein Zug zum Flughafen ausfällt, weil der nächtliche Sturm einen Baum über die Bahnstrecke gelegt hat, eher nicht. Bei Quarantäne wegen einer Covid19-Infektion dürften die Antworten unterschiedlich ausfallen. Und wenn ich einen geliebten Menschen verliere, fühle ich mich unter Umständen verloren im eigenen Leben.


Wenn ich meine Reaktion von der Art der Veränderung abhängig mache, liefere ich mich dem Leben aus.

Mit all seinen Hochs und Tiefs, Freuden und Leiden. Das ist sicherlich spannend und lehrreich, gleichzeitig aber auch verbunden mit einem hohen Energieaufwand. Aus der Hirnforschung ist bekannt, dass jede Veränderung unser Gehirn erst mal durcheinanderbringt und für Inkohärenz sorgt. Um hirntechnisch wieder alles ins Lot zu bringen, brauchen wir Energie, die uns für andere Bereiche nicht mehr zur Verfügung steht. Wir kennen das alle aus Akutsituationen: Wir haben einen wichtigen Termin (Vorstellungsgespräch, erstes Date, Kind wartet auf uns nach dem Kindergarten…) und geraten in einen Stau wegen eines Unfalls. Wir können unmöglich pünktlich kommen. Zuerst steigt der Puls, unser Atem beschleunigt sich, dann werden unsere Hände feucht, wir klopfen mit den Fingern aufs Steuerrad und nehmen dabei vielleicht sogar noch wahr, wie sich unser Sichtfeld verengt. Wir schimpfen auf den Stau, die regennasse Fahrbahn, die sicherlich Schuld am Unfall ist, und über unsere Entscheidung, trotz des schlechten Wetters nicht die Bahn genommen zu haben. Wir suchen fieberhaft nach einer Lösung, fühlen uns aber, als hätten wir ein Brett vor dem Kopf: logisches Denken fällt uns schwer. Erst, wenn sich die Erregung legt, wird Energie frei, um unser Gehirn wieder in Ordnung bringen zu können. Vielleicht sind bis dahin aber schon wertvolle Minuten verstrichen, in denen wir hätten handeln können.


Je größer die unerwartete Veränderung ist, desto länger hält die Unordnung im Gehirn an und desto länger sind wir in unserer Denk- und Handlungsfähigkeit eingeschränkt.

Bei größeren sogenannten Schicksalsschlägen teilweise über mehrere Wochen, Monate oder sogar Jahre.


Da wäre es doch hilfreich, unsere Einstellung gegenüber unerwarteten Veränderungen zu hinterfragen. Was wäre, wenn wir jede Veränderung erst einmal begrüßen würden? Unabhängig davon, welche realen Konsequenzen sie für uns hat. Denn die Unordnung im Gehirn entsteht ja erst einmal nicht durch die realen Konsequenzen, sondern durch die erwarteten. Wir wissen ja nicht, wie der Stau und das dadurch verursachte Zuspätkommen unser Leben tatsächlich beeinflussen werden, sondern der Stress entsteht, weil wir eine bestimmte Konsequenz erwarten. Wir erwarten, dass wir den Job nicht bekommen, unser Date den vereinbarten Treffpunkt bereits verlässt oder sich unser Kind alleine auf den gefährlichen Heimweg macht. Bleiben wir dagegen ruhig, dann sind wir in der Lage, zum Handy zu greifen und den Chef, unser Date oder die Kindergärtnerin anzurufen und über unsere Verspätung zu informieren. Wir drehen das Radio auf, hören Musik und genießen unseren Kaffee, den wir uns extra für die Autofahrt gekocht haben. Vielleicht bekommen wir den Job tatsächlich nicht, unser Date hat sich bereits jemand anderes angelacht und das Kind wird von einer befreundeten Mutter mit nach Hause genommen, sprich: unser ganzer Aufwand war umsonst. Selbst wenn wir im Nachhinein keinen Nutzen an unserem scheinbar sinnlosen Ausflug erkennen können, so sind wir wenigstens im Moment im Gleichgewicht geblieben und haben keine wertvolle Lebenszeit mit negativen Gedanken, Angst und Stress verschwendet.


Es geht also nicht immer darum, unser Leben nach unseren Vorstellungen zu verändern, sondern auch darum, angemessen auf unerwünschte Veränderungen, die wir nicht beeinflussen können, zu reagieren.

Der erste Schritt ist dabei die Beobachtung eingespielter Gedankenmuster. Welche Gedanken tauchen reflexartig auf bei einer unerwünschten Veränderung? „Nicht schon wieder, immer erwischt es mich!“? Oder „Das musste ja so kommen!“? Oder: „Was denken denn nun die anderen?“? Oder: „Damit komme ich nicht klar, das schaffe ich nicht.“? Unsere Gedankenmuster sind die Basis für unsere Handlungsmuster, und durch beide zusammen schaffen wir unsere Realität. Wenn es uns gelingt, auf ungewollte Veränderungen zum Beispiel so zu reagieren: „Hallo Veränderung, ich mag dich zwar gerade nicht, aber mal schauen, was du mir bringen wirst!“, dann schonen wir unser Gehirn und bewahren unsere Denkt- und Handlungsfähigkeit. Auf lange Sicht trägt dieser Umgang mit unerwünschter Veränderung wesentlich zum Erhalt unserer Gesundheit und unserer Lebensfreude bei.


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