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Corina Lendfers

Verlorene Bedürfnisse



Ich war 15 Jahre alt, als ich zum ersten Mal mit dem Begriff "Bedürfnis" konfrontiert wurde. Damals besuchte ich das Wirtschaftsgymnasium und lernte in Betriebswirtschaftslehre die Funktionsweise der Marktwirtschaft kennen. Ein Bedürfnis, so lernte ich, ist ein Gefühl des Mangels. Sobald die Absicht dazu kommt, diesen Mangel zu beseitigen, wird dieses Bedürfnis zum Bedarf. Weiter wurde mir beigebracht, dass es materielle und immaterielle Bedürfnisse gibt, die Bedürfnisse nach Nahrung oder nach Geselligkeit zum Beispiel.


Es dauerte nochmals etwa 15 Jahre, bis mir bewusst wurde, dass diese Begriffsdefinition zwar nicht falsch, aber auch nicht ausreichend ist. Wir können nämlich zusätzlich zwischen echten und unechten Bedürfnissen unterscheiden.


Unechte Bedürfnisse sind all jene, die wir von Außen übernommen haben.

Von der Gesellschaft, unseren Freunden, unserer Familie, durch die Werbung. Das Tückische daran ist: Wir merken es meistens nicht. Und das Gefährliche: Wir verbringen viel Zeit unseres Lebens damit, diese unechten Bedürfnisse zu befriedigen, obwohl sie uns weder nachhaltig zufrieden geschweige denn glücklich machen. Wir rennen durch die Kaufhäuser oder zappen uns durchs Internet auf der Jagd nach Gegenständen, die wir glauben zu brauchen, weil 1. alle sie haben, 2. wir glauben, damit gesünder, schöner, intelligenter oder begehrter zu sein, 3. wir dann nicht mehr ausgeschlossen werden oder 4. weil sie uns angeblich unseren Alltag erleichtern. Sind wir ehrlich: Auf die meisten Dinge, die wir kaufen, könnten wir verzichten.


Wir erlernen einen Beruf und führen eine Tätigkeit aus, weil 1. unsere Eltern das so wollten, 2. der Job gut bezahlt ist, 3. wir dadurch Anerkennung erhalten oder 4. weil man ja irgendwie sein Geld verdienen muss. Gemäß Erhebungen in den USA machen 80% der Arbeitnehmer einen Job, der sie nicht erfüllt. In Deutschland oder der Schweiz dürfte die Situation ähnlich sein. Damit verbringen wir die meiste Zeit unseres Lebens mit Tätigkeiten, die uns keine Freude bereiten und uns nicht nachhaltig befriedigen. Warum ist das so?


Weil wir verlernt haben, auf unsere echten Bedürfnisse zu achten.

Wir Menschen sind Herdentiere. Wir streben nach Zugehörigkeit, und um diese zu erhalten, sind wir bereit, uns anzupassen. Sehr oft tun wir das stärker, als gut für uns ist. Wir bemerken es nicht, sondern nehmen nur die Konsequenzen wahr: körperliche oder psychische Symptome wie Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit, Müdigkeit, Lustlosigkeit, Gereiztheit, Frustration, Aggression, Depression, Burnout.


Das kann uns nicht passieren, wenn wir Energiequellen haben, aus denen wir schöpfen können. Dinge, die wir mit Leidenschaft und Begeisterung tun. Wenn wir unsere echten Bedürfnisse befriedigen. Oftmals wissen wir jedoch gar nicht mehr, welches unsere echten Bedürfnisse überhaupt sind. Wir haben den Zugang zu ihnen verloren. Aber es gibt eine gute Nachricht: Echte Bedürfnisse lassen sich nicht so leicht kleinkriegen. Sie sind wie eine Glut, die in uns schwelt und darauf wartet, dass wir sie entfachen. Was echte Bedürfnisse auszeichnet und warum es wichtig ist, dass wir sie kennen und ihnen unsere Aufmerksamkeit schenken, darüber diskutiere ich am Samstag mit Michael im Podcast.


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