"Lass los! Lass das sofort los, das ist mein Spielzeug!"
Wir kennen den Ausruf vom Spielplatz oder auch aus dem Kinderzimmer unserer eigenen Kinder. Und erfahren in diesem einen Satz: "Lass los!" und dem Streit darum herum auch gleich die Quintessenz: Loslassen ist nicht einfach. Noch schlimmer: Loslassen beschäftigt uns unser Leben lang.
Unser Verhältnis zum Loslassen ist meistens ambivalent. Einerseits tun wir es täglich. Wir greifen nach unzähligen Gegenständen und lassen sie los. Den Pyjama am Morgen. Die Zahnbürste. Die Kaffeetasse. Die Aktivität des Loslassens ist so selbstverständlich für uns, dass wir sie in der Regel nicht bewusst wahrnehmen.
Genau so unbewusst kleben wir andererseits an Dingen, Beziehungen und Gewohnheiten, die wir besser loslassen sollten. Wir treffen uns mit Menschen, die wir nicht mögen, erledigen Arbeiten, die uns nicht befriedigen und essen Nahrungsmittel, die uns nicht gut tun. Warum?
Weil wir irgendwann damit begonnen haben, ohne zu hinterfragen.
Bis wir bemerken, dass wir damit entweder Energie und Freude verlieren oder unserem Körper direkt schaden, sind die unguten Beziehungen, Dinge oder Gewohnheiten längst Routine geworden. Und genau da liegt der Hund begraben: Routinen helfen uns dabei, Energie zu sparen. Wenn wir jeden Handgriff, den wir täglich ausführen, aufs Neue überlegen und entscheiden müssten, würde das unser Gehirn über die Maßen strapazieren und ermüden. Andererseits geben uns Routinen Sicherheit und Orientierung. Indem wir uns mit unseren Handlungen anpassen, stoßen wir in der Regel nicht auf Widerstand und provozieren keine Konflikte. Beides hilft uns, im Gleichgewicht zu bleiben - selbst wenn wir in diesem Gleichgewichtszustand nicht besonders glücklich sind. In einer solchen Situation haben wir unser monatliches Einkommen, unseren definierten Freundes- und Bekanntenkreis und unser partnerschaftliches oder familiäres Umfeld. Wir haben unseren definierten Tagesablauf und unseren Handlungsspielraum, innerhalb dessen wir uns bewegen können, ohne auf Hindernisse oder Widerstände zu stoßen. Wir bewegen uns innerhalb unserer sogenannten Komfortzone.
Woran erkennen wir, dass wir loslassen sollten?
Loslassen müssen wir spätestens dann, wenn Leidensdruck entsteht. Nun ist die Schmerztoleranz bei uns Menschen allerdings sehr unterschiedlich. Einige von uns kündigen eine Stelle, wenn die Atmosphäre im Team belastend ist, andere harren jahrelang in der toxischen Beziehung mit einer Partnerin aus, die eine narzisstische Persönlichkeitsstörung hat oder alkoholabhänig ist. Wo unsere individuelle Schmerzgrenze liegt, müssen wir selbst herausfinden.
Besser als bis zur Schmerzgrenze zu gehen wäre es allerdings, bereits vorher zu reagieren. Den Job loszulassen, bevor wir durchs Burnout dazu gezwungen werden. Die schädliche Beziehung zu beenden, bevor wir all unsere Freunde und unser Selbstwertgefühl verloren haben. Oder auch auf die abendliche Tafel Schokolade zu verzichten, bevor wir uns zur nächsten (nutzlosen) Diät zwingen müssen.
Loslassen kann man lernen.
Und trainieren. Am besten mit kleinen Schritten. Überlege dir, welche Gewohnheit du als erstes loslassen willst, weil sie dir schadet. Setze dir ein ganz konkretes Ziel: Jeden Abend nach dem Abendessen das Handy ausmachen. Keine Schokolade mehr einkaufen. Nur ein Glas Rotwein vor dem Fernseher trinken anstelle der ganzen Flasche. Dann ziehst du diesen einen Vorsatz durch. Vier Wochen lang. Ganz diszipliniert. Und dann nimmst du die nächste schädliche Gewohnheit in Angriff. Und dann die übernächste. Diese kleinen Erfolge zeigen deinem Gehirn, dass es loslassen kann. Das wird abgespeichert und hilft dir, dich nach und nach von den wirklich wichtigen Schädlingen in deinem Leben zu lösen.
Du glaubst mir nicht? Der größte Widerstand sitzt im Kopf. Lass ihn los!
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